Vor bald 26 Jahren stiess André Nauer zu ISS Schweiz. In dieser Zeit veränderte sich die FM-Landschaft stark und auch das Unternehmen ISS ist ein anderes geworden. Das hat bestimmt auch mit dem heute 57-jährigen CEO André Nauer selbst zu tun, einem neugierigen, ambitionierten und kompetitiven Men- schen, der bewegen und verändern möchte.
Das war ein Zufall. Ich wurde angesprochen, ob ich Interesse hätte – und sagte erst einmal ab. Als studierter Hotelier und als passionierter Fussballer hatte ich aber die Möglichkeit, bei ISS Schweiz mit dem da- maligen Präsidenten des Grasshoppers Club Zürich zusammenzuarbeiten. Das war der eigentliche Trigger und machte mich neugierig. Ich sah eine Möglichkeit, meine Führungserfahrungen in den Bereichen Hotellerie und Catering einzubringen und mich bei ISS Schweiz weiterhin mit Services, Menschen und Kunden oder Gästen zu beschäftigen. Erstmals im Leben würde ich dann von Montag bis Freitag arbeiten. Zur glei- chen Zeit wurde ich zum zweiten Mal Vater und ich sagte mir, dass ich das probiere – zwei oder drei Jahre lang. Daraus wurden nun bald 26 Jahre. Ich er- hielt immer wieder neue Möglichkeiten, mich einzu- bringen, mich selbst und das Unternehmen zu entwi- ckeln. Das war und ist immer noch spannend. Ich gehe auch nach 26 Jahren gerne arbeiten. Es ist ein spannendes Umfeld, in dem ich mich gerne engagiere. Ich bin noch nicht müde geworden.
Das Umfeld hat sich stark verändert, allem voran der Arbeitsmarkt. Auch die Treiber für die Kunden, wes- halb sie Dienstleistungen auslagern möchten, haben sich entwickelt. Und selbstverständlich hat der Tech- nologiewandelgrossen Einfluss auf unsere Branche und unser Unternehmen. Es gab tatsächlich mehrere disruptive Elemente, die unsere Branche und unsere Gesellschaft erfassten. Wir müssen immer wieder neue Antworten und Lösungen finden, auf eine positive und konstruktive Art und Weise. Das fordert mich heraus – und in meiner Rolle darf ich mich intellektuell mit solchen Fragen auseinandersetzen.
Im Jahr 1998 waren wir ein Reinigungsunternehmen, rund 90 Prozent unserer Dienstleistungen hatten mit Reinigung zu tun. Heute liegt dieser Anteil unter 40 Prozent, weil sich unsere Servicebreite stark entwi- ckelte, unter anderem mit Vertikalintegrationen. Wir sind nach wie vor eine stolze Gebäudereinigerin, al- lerdings positionieren wir uns als integrale Anbieterin am Markt. Selbstverständlich gab es im Jahr 1998 noch sehr viele manuelle Prozesse, die heute digitaler sind. Wir haben nun Tools für mehr Transparenz, für Produktivitätsverbesserungen, für die Interaktion mit Kunden, und wir können basierend auf digitalen Daten optimierte Services und bessere Beratungs- leistungen bieten. Die Produktivität in der Reinigung wurde verdoppelt oder sogar verdreifacht – durch bessere Methoden, Prozesse, Hilfsmittel und Geräte. Auffallend ist auch,wie wenig wir im Jahr 1998 noch über Umweltmanagement sprachen. Heute ist das einer der drei grössten Treiber am Markt.
«DAS FM IST PER SE DIVERS AUFGESTELLT.»
Das sind einerseits die Digitalisierung, die Automati- sierung und das Datenmanagement. Mit Daten können wir unsere Kunden beraten, wie sich ihre Portfolien kostenefÏzienter undqualitativ besser betreiben las- sen. Der dritte Treiber ist die sogenannte End-User- Experience: Vor 20 Jahren sprachen wir noch über- haupt nicht über dieses Thema, heute stehen die Mitarbeitenden der Kunden stark im Fokus. Auch im Post-Covid-Kontext geht es heute um optimale Ar- beitsflächen, von klassischen Arbeitsplätzen hin zu einem Zonendenken. Es braucht soziale Räume, wo man als Team arbeiten kann, es braucht angepasste Konzepte rund um Food & Beverage. Die Menschen sollen sich wohlfühlen und der Arbeitsplatz im Cor- porate OfÏce solleine attraktive Option zum Home- ofÏce oder zur Remote-Arbeit sein.
Die Frage hat auch heute noch eine gewisse Relevanz. Unsere Kunden im B2B-Sektor haben heute eine klare Make-or-Buy-Strategie. Der Trend zeigt uns, dass es deutlich mehr Nachfrage nach integralen Angeboten gibt als nach Single Services. Es gibt allerdings wei- terhin Segmente – zum Beispiel Flughäfen, Gesund- heitswesen oder die produzierende Industrie – die Single Services einkaufen, nach dem Prinzip «Best in Class». Hier gibt es durchaus Potenzial für integrales Sourcing. Solche Strategien entwickeln sich erst noch. Aber im Grossen und Ganzen lässt sich klar sagen: Der integrale Ansatz hat sich durchgesetzt und wird weiterverfolgt.
Die Dienstleister haben sich stark zu integralen An- bietern entwickelt, sowohl hinsichtlich der Vielfalt der Angebote als auch in Sachen Maturität der Ange- bote. Sie bieten heute mehr Eigenfertigung und brei- tere Services und sind in dieser Breite allesamt besser geworden. Ob ein Anbieter aus der technischen Ecke, von der Real-Estate-Seite oder aus den Soft Services kommt, diese Herkunft kann man nicht ganz abstreifen und spürt man auch heute noch. Trotzdem: Die Tie- fenkompetenz hat sich stark entwickelt und die Branche ist insgesamt besser und qualitativ hochstehender geworden. Es gibt heute eine deutlich breitere An- zahl an Anbietern, die wettbewerbsfähige Angebote einreichen können.
ISS Schweiz ist eine Tochtergesellschaft der ISS Gruppe mit über 350'000 Mitarbeitenden in 31 Ländern. In den letzten fünf Jahren schärften wir unsere welt- weite Strategie, wo genau wir mit welchen Dienst- leistungen präsent sein wollen. In diesem Rahmen verabschiedeten wir uns von Dienstleistungen, die mir persönlich wichtig waren, beispielsweise die Ka- nalservices. Umgekehrt tätigten wir mit Livit FM und mit gammaRenax zwei wesentliche Zukäufe, die unsere Strategie unterstützen. Im gleichen Atemzug legten wir auch zwei Schwerpunkte für uns selbst fest: Umweltmanagement und Diversity&Inclusion. Ganz besonders im Umweltmanagement werden sich unsere Kunden immer bewusster, dass das FM einen wichtigen Beitrag leisten kann, um den ökologischen Fussabdruck zu optimieren. Wir als Organisation sind hier schon lange aktiv – beispielsweise verfolgen wir einen Ansatz, um chemiefrei zu reinigen. Über 90 Prozent derBüroflächen reinigen wir ohne Chemie und wo sie nötig ist, verwenden wir möglichst ab- baubare Chemikalien. Unsere Fahrzeugflotte mit rund 1700 Fahrzeugen beurteilen wir kontinuierlich neu. Wir setzen auf verbrauchsärmere Fahrzeuge, wechseln zu E-Fahrzeugen und haben sogar Wasser- stoff-Fahrzeuge inder Flotte. Wir wollen den Anteil von elektrifizierten Lösungen stetig erhöhen,bis ins Jahr 2030 möchten wir bei 40 Prozent ankommen. Viel mehr Wirkung können wir allerdings durch die Beratung unserer Kunden erzielen, wie sie ihren Energieverbrauch optimieren – durch den Einsatz von Technologie und Sensorik beispielsweise. Ob Wasser, Strom, Gas, Öl oder Diesel, was auch immer verbraucht wird, wir erfassen Daten und können diese als Grundlage nutzen, um Portfolien zu verglei- chen und analytisch basierte Empfehlungen zu geben. Auch hier haben wir grosse Fortschritte erzielt und betreiben Umweltmanagement also nicht nur für uns selbst, sondern werden in dieser Frage als aner- kannte Beraterin wahrgenommen.
Wir sprechen bei ISS von drei Elementen: Diversity, Inclusion und Belonging. Diversität ist ein Thema, das wir als Unternehmen und als FM-Branche an sich seit jeher leben. Bei ISS Schweiz arbeiten Menschen aus rund 136 Nationen, dadurch sind wir per se divers aufgestellt. Darüber hinaus fördern wir Vielfalt durch unterschiedliche kulturelle und religiöse Hintergründe, sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten sowie verschiedene Altersgruppen und Fähigkeiten. Wir sind auch mit dieser Inklusion sehr weit gekom- men und das zeigt sich unter anderem in der tiefen Fluktuation oder dem Fakt, dass sich unsere Mitar- beitenden sehr lange von uns beschäftigen lassen. Hier können sie sich entwickeln. Rund 65 Prozent der offenen Stellen in Führungs- oder Spezialistenfunktionen können wir intern besetzen. Ganz besonderen Wert legen wir auf das dritte Element, Belonging, also Zu- gehörigkeit. Es gibt heute am Arbeitsmarkt keinen «War for Talents» mehr, es ist ein «War for Ressources» geworden. Das wird sich noch weiter akzentuieren. Die Kapazität am Arbeitsmarkt reduziert sich, die Nachfrage wird aber weiter zunehmen. Wir müssen sicherstellen, dass die Mitarbeitenden bei uns blei- ben oder sich für uns entscheiden. Hierfür ist das Belonging ganz zentral. Wenn wir eine gute Kultur leben und sich Mitarbeitende zugehörig, geschätzt, respektiert und gefördert fühlen, dann wird sich das durch firmentreueMitarbeitende auszeichnen. Es wird aber auch nach aussen ausgestrahlt: Manfindet bei ISS eine Arbeitgeberin, die sich kulturell enga- giert, konkrete Massnahmen umsetzt und einem In- dividuum die Möglichkeit bietet, sich zu entfalten. Auch junge Menschen möchten heute nicht mehr zwingend hundert Prozent arbeiten. Wir haben Rollen geschaffen,in denen sich zwei oder drei Mitarbei- tende eine Aufgabe teilen. So werden wir neuen Be- dürfnissen gerecht.
Wir erhalten von Mitarbeitenden immer wieder Rück- meldungen, wie wichtig es ihnen ist, in einem Unter- nehmen zu arbeiten, das sich konkret für die Umwelt und für Nachhaltigkeit einsetzt. Ein Beispiel für die soziale Verantwortung ist auch jenes, dass wir 460 Flüchtlinge beschäftigen und sie für den Arbeitsmarkt qualifizieren. Und wir beschäftigen sie nicht nur, wir begleiten sie. Wir unterstützen ihre Integrationsbe- mühungen über ein Götti-Wesen: Wie kauft man ein, wie versichert man sich, wie läuft das mit Vereinen, wie erwirbt man Sprachkompetenzen? Ich glaube fest daran, dass es für Menschen viel in Bewegung setzt, wenn sie eine lokale Landessprache beherr- schen. Das alles machen wir im Rahmen unserer so- zialen Verantwortung, aber auch als Signal an unsere Belegschaft, dass sie eine äusserst wichtige Rolle für uns spielen.
Wir gehören nicht zu den Unternehmen, die keine Menschen ab 50 einstellen, auch sie können bei uns eine Stelle finden.Aber ganz besonders bei jüngeren Menschen achten wir darauf, dass möglichst zwei Drittel der jungen Talente, die wir einstellen, weiblich sind. So versuchen wir, mehr Frauen in diese männer- dominierte Branche zu bringen und den Frauenanteil in Führungspositionen über die Jahre stetig zu erhö- hen. Wir haben diese Zahl bereits von 22 Prozent auf 35 Prozent erhöht.
Da gibt es unterschiedliche Startpositionen. In England oder Skandinavien ist diese Thematik im Dialog mit Kunden viel präsenter. In der Schweiz wird vorausge- setzt, dass wir mit Diversity und Inclusion verant- wortungsvoll umgehen und dass wir eine gute Kultur haben, damit in den Teams eine gewisse Stabilität vorhanden ist. Einen speziellen Fokus in den Agen- den unserer Key-Account-Manager hat das Thema aber nicht. Die Kunden gewichten die Digitalisierung, Automatisierung und das Umweltmanagement viel stärker.
Die Mindestlöhne müssen sich nach oben entwickeln. Die Thematik «Living Wage» ist relevant und wenn wir uns im Wettbewerb mit anderen Branchen durchset- zen wollen, brauchen wir attraktivere Lohnmodelle, die auf einer höheren Grundlage starten. Ich werde mich persönlich für einen Mindestlohn von 25 Fran- ken plus 13. Monatslohn plus Ferien engagieren, um für Mitarbeitende, die einen relevanten Anteil des Familieneinkommens generieren, eine bessere Aus- gangslage zuschaffen. Wir dürfen den Anschluss nicht verpassen, sondern sollten sogar vorausgehen, um eine attraktive Branche für potenzielle Arbeit- nehmende zu sein.
«RUND 65 PROZENT DER OFFENEN STELLEN IN FÜHRUNGS- ODER SPEZI-ALISTENFUNKTIONEN KÖNNEN WIR INTERN BESETZEN.»
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Ich werde laufend darauf angesprochen, wann wir mit Reinigungsrobotern kommen. Doch die Roboter- industrie wird erst in mehreren Jahren gute Ange- bote für unsere Branche haben. Demgegenüber stehen viele Anwendungen, wo die Digitalisierung viel Mehr- wert bietet und längst Einzug gehalten hat. Beispiele sind Programme, die repetitive Prozesse automati- sieren. Es gibt derzeit 17 administrative Prozesse – von Tickets über Personal- und Lohnadministration bis zur Finanzbuchhaltung – in denen wir dank Digi- talisierung die Produktivität und Kosten optimieren konnten. Ein anderer Bereich ist die IoT-basierte PropTech-Lösungslandschaft. Das Medium LoRa hat sich heute etabliert und wird in verschiedensten Anwendungen angeboten. Reaktive, proaktive oder präventive Aufgaben werden dank Sensoren besser und anders organisiert und es kamen zusätzliche Kompetenzen hinzu, beispielsweise das Lösen eines Papierstaus im Drucker, die Neubestückung eines Coffee Cornersoder die Bereitstellung eines Sitzungs-zimmers für eine nächste Gruppe. Wir haben heute 31 neue, digitalisierte Produkte, wo es früher keine gab – und ein Bewusstsein, dass Mitarbeitende im Zusammenspiel mit digitalen Anwendungen einen echten Mehrwert haben. Das führte unter anderem dazu, dass wir heute eher Hospitality Stewards als Reinigungsmitarbeitende haben und sich die Reini- gung vermehrt in den Tag verlagert hat. Unsere Mit- arbeitenden werden dadurch mehr wahrgenommen, erhalten ein Gesicht und auch Wertschätzung, was ihre Zufriedenheitklar positiv beeinflusst.
Da gibt es noch viel Potenzial. Wir machen uns aber explizit Gedanken, was wir mit den Daten anstellen. Operative Führungskräfte können auf 180 Reportings zurückgreifen. Wenn sie die alle lesen müssten, würden sie nicht mehr für die Kunden arbeiten. Wir müssen uns also überlegen, welche Rolle welche Daten in welcher Qualität braucht, und diese dann so bereit- stellen. Auch rund um Daten, wie ein Gebäude und die Ressourcen genutzt werden, müssen wir noch Fortschritte erzielen. Und dann müssen wir den nächsten Schritt machen und diese Daten mit anderen Portfolien vergleichen können. Das liefert Rückschlüsse, wo Optimierungen möglich sind. Benchmarking wird an Relevanz gewinnen und unsere Kunden sind dafür viel offenergeworden. Früher schaute jeder für sich. Heute werden sie sich bewusst, dass dies keine kriti- schen Daten aus dem Kerngeschäft sind, sondern dass durch Wissens- und Datenaustausch viel erreicht werden kann.
Schweizer:innen suchen immer nach Verbesserungen und wollen nicht stolz darauf sein, was sie in den letz- ten Jahren geleistet haben. Ich bin glücklich mit dem Wandel – und wenn ich 25 Jahre zurückschaue, fand ein substanzieller Wandel statt. Das zeigt sich in der Aus- und Weiterbildung, im Lehrlingswesen, in der Professionalisierung, im Datenmanagement, in der Automatisierung und Digitalisierung, in Produktivi- tätsgewinnen, besserer Datentransparenz und in vielem mehr. Wir haben bessere Mitarbeitende und können Kunden besser beraten. Heute stehen wir an einem neuen Punkt und natürlich muss und wird es weitergehen. Aber unsere Branche hat sich schon manifest verändert und professionalisiert. Die neuen Optionen, die uns die IT-Welt liefert, werden genutzt. Wir werden nicht mehr als Dienstleister angeschaut, sondern als taktische Dialogpartner und als strategische Berater. Wir werden wertgeschätzt und auf Augen- höhe anerkannt.
Das war vor 25 Jahren noch ganz anders. Darauf kann die ganze Branche stolz sein. Ich bin es definitiv. Und nichtnur die Vergangenheit war spannend, die Zukunft wird es auch sein. Es wird neue Berufsbilder geben, neue Services, in der sozi- alen Agenda und im Umweltmanagement liegen noch viel Entwicklungspotenzial. Wir müssen der verän- derten Marktsituation erfolgreich und aufmerksam begegnen und eine klare Strategie verfolgen, damit wir für einen neuen Arbeitsmarkt 2030 gerüstet sind. Sich zu verändern, das muss man als positives Gefühl vermitteln. So kann man Herausforderungen anneh- men und den Change nicht als schwierig und negativ betrachten. Durch ein positives Gefühl für Verände- rungen gewinnt man Energie als Team und kann den Herausforderungen, denen man sowieso begegnenmuss, auch tatsächlich positiv begegnen.
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